Duell zweier Welten

Bericht im Weser-Kurier zur WM vom 11. 12. 2017

Der Grün-Gold-Club Bremen bemühte sich nach Kräften, am Ende mussten sich die Hansestädter jedoch Due Team Perm aus Russland geschlagen geben.

Quelle: Weserkurier

Es war ein emotionaler Moment nach einer langen Nacht in Wien, aber für die deutschen Lateinformationen am Ende nicht mit den erhofften Ergebnissen. Der Grün-Gold-Club Bremen musste sich bei der Weltmeisterschaft der Lateinformationen, nach fünf Titeln in Folge, mit Platz zwei hinter dem ärgsten Rivalen Due Team Perm aus Russland begnügen. Die Formationsgemeinschaft Velbert/Bochum, die im vergangenen Jahr noch Bronze erreichte, landete auf Rang vier hinter dem zweiten russischen Team Vera Tyumen.

Die Tränen flossen in Strömen in dieser WM-Nacht, vor allem bei den Neuen im Team der Bremer Formation. Doch Trauer war angesichts der tollen Leistungen während des ganzen Tages nicht angebracht. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen“, sagte Tänzer Thomas Friedrich, „wir haben alles gegeben.“ Auch sein Kollege Sebastian Schwind kämpfte zwar mit dem Schock, den Titel knapp verpasst zu haben, bekannte jedoch, dass „so etwas auch mal passieren könne“. Damit müsse man nun umgehen.

Co-Trainer Michael Maas versprühte gute Laune in diesem emotionalen Tief des verlorenen Titels: „Wir sind Vize-Weltmeister, das ist doch auch was Tolles.“ Seine Worte kamen jedoch nur schwer bei den enttäuschten Tänzern an.  Verständlich, wenn man sich die Wertungen der drei Runden anschaut. Die Grün-Gold-Formation hatte es in der Hand, den nächsten Titel zu gewinnen. Die Mannschaft von Roberto Albanese führte nach einer souveränen ersten Vorrunde mit 0,25 Punkten vor den Russen. Tänzer Sebastian Schwind hatte bereits vor der WM angekündigt: „Wir müssen uns in den Wettkampf reinarbeiten, von Runde zu Runde.“ Und das taten die Bremer. In der Zwischenrunde gelang ihnen eine perfekte Leistung mit ihrer Choreografie „Noises, Voices, Melodies.“ Tänzerisch eine Klasse für sich, dynamisch, exakt, hinreißend und intensiv. Musik, Takt und Tanz perfekt aufeinander abgestimmt.

Quelle: Weserkurier

Der Abstand zum Rivalen vergrößerte sich, zumal die Russen sich in Runde zwei einige Wackler in ihrer Präsentation erlaubt hatten. Vor dem Finale sahen die Wertungsrichter die Bremer bereits mit 0,5 Punkten vor. Der WM-Titel schien zum Greifen nahe. Noch so ein Durchgang mit noch ein wenig mehr Hingabe im Finale – und es hätte eigentlich nichts mehr schiefgehen können.

Aber es kam anders. Co-Trainer Sven Emmerich: „Das Finale war nicht unser bester Durchgang. Wir wollten das Publikum noch mehr mitziehen, waren aber dann nicht mehr so sicher wie vorher.“ Die Wertung kippte, zumal die Formation Due Team Perm mit ihrer neuen Choreografie „One Heartbreak“ zuvor die Halle zum Toben gebracht hatte. Nicht unbedingt, weil die Russen so gut getanzt hatten. Sie beeindruckten vielmehr mit einer unglaublichen Shownummer. Ihnen war vor allem im Finale anzumerken, wie sehr sie diesen WM-Titel wollten. In Bremen im vergangenen Jahr noch unterlegen, setzte die Mannschaft von Trainer Viktor Kulbeda alles auf eine Karte. Die Highlights doppeln, genügend Pausen für den Applaus einbauen, viel Wind zeigen, alles rasant dargeboten mit gängiger Musik, zusammengestellt aus zahlreichen Welthits. Die Strategie der Russen ging auf. Die 5000 Zuschauer im Schwechater Multiversum waren aus dem Häuschen. Ob sie die Wertungsrichter damit ansteckten, mag keiner sagen. Am Ende lagen die Russen mit knappen 0,12 Punkten vor den Bremern. 37,492 Punkte bekam der Sieger, der Zweitplatzierte 37,375.

Diese Entscheidung für die Russen entpuppte sich in Wien einmal mehr als harter Wettstreit unterschiedlicher Systeme. Auf der einen Seite Trainer Roberto Albanese, der seine Choreografien mit einem hohen tänzerischen Anspruch entwickelt. Seine Mannschaft ist permanent in Bewegung, vom Kopf über die Fingerspitzen bis zu den Füßen. Alles ist im Fluss, perfekt an die Musik angepasst, Lateintanzen in Perfektion.

Auf der anderen Seite die Mannschaft von Due Team Perm, die zwar auch hervorragende Tänzer in ihren Reihen hat, das aber eher vernachlässigt. Die Russen setzen auf Akrobatik und Athletik. Sie haben ihre Highlights in der neuen Choreografie verdoppelt, was auf den ersten Eindruck ein echter Hingucker ist. Sie sind rasant, ohne jedoch tänzerisch zu glänzen. Ihre Choreografie mit dem Titel „One Heartbreak“ berührt nicht wirklich das Herz, sondern wirkt eher ein wenig roboterhaft. Würde man beide Choreografien übereinanderlegen, sähe man, dass beide nichts gemeinsam haben.

Bei der Entscheidung um Platz eins und zwei ging es bei dieser Weltmeisterschaft um Tanzen zum einen und sportliche Akrobatik zum anderen. Zwei Welten prallten aufeinander. Vor allem der internationale Tanzsportverband muss sich angesichts der Wertungsrichterentscheidungen die Frage stellen, wohin der Formationssport sich zukünftig entwickeln soll. Roberto Albanese hatte schon vor der WM erklärt, dass er seinen Weg auf jeden Fall weitergehen wird: „Da bleiben wir uns treu.“ Immerhin neun Weltmeistertitel haben ihn und seine Lateinformation in den vergangenen Jahren bestätigt.

Jens Steinmann, Vorsitzender des Grün-Gold-Clubs, sieht vor allem ein anderes Problem. „Im Formationssport gibt es kaum Regeln. Lediglich die vier lateinamerikanischen Tänze müssen sich in einer Choreografie wiederfinden. Und Hebefiguren sind verboten, ansonsten kann jede Mannschaft machen, was sie will.“ Entsprechend frei können sich auch die Wertungsrichter bei ihrer Punktvergabe entscheiden. Gewertet wird, was gefällt. An diesem denkwürdigen Abend in Wien war es dann mal die Lateinformation aus Russland.